Michelangelo, Der Auferstandene Christus

Michelangelo Buonarroti,
Der Auferstandene Christus
1518- 21, Santa Maria sopra Minerva, Rom

Unter den wenigen Besuchern, die Michelangelo in seiner Römer Werkstatt duldete, befand sich der ehemalige Gonfaloniere Soderini und seine Frau, Monna Argentina, denen von Papst Leo gestattet worden war, in Rom zu leben, und drei Herren, die ihm zum ersten Mal wieder einen privaten Auftrag anboten. Metello Varti die Porcari, ein Römer aus alter Familie, und Bernardo Cencio, Domherr von St. Peter, fragten, ob er einen Auferstandenen Christus für die Kirche Santa Maria sopra Minerva in Arbeit nehmen könnte.

„Ein Auferstandener Christus?“ Michelangelo war von der Idee gefesselt. „Nach der Kreuzigung? Wie stellen Sie sich das Stück vor?“ „Lebensgross. Mit einem Kreuz in den Armen. In seiner Haltung, die zu bestimmen Ihnen überlassen bleibe.“  —

Er hatte schon immer gefühlt, dass die meisten Darstellungen der Kreuzigung dem Sohne Gottes durchaus nicht gerecht wurden, da sie ihn als einen vom Kreuz Besiegten zeigten. Er hatte diese Auffassung nie geteilt. Sein Christus war ein starker Mann, der das Kreuz nach Golgatha getragen hatte, als sei es der Zweig eines Olivenbaumes. Er fing zu zeichnen an. Das Kreuz wurde zu einem winzigen Ding in Jesu Händen. Da seine Auftraggeber mit der Tradition gebrochen hatten und die Darstellung des Kreuzes nach der Auferstehung verlangten, warum konnte er da nicht auch von der allgemeinen Auffassung abweichen? Anstatt vom Kreuz gebrochen, würde Christus als Sieger dastehen. Nachdem er die ersten Rohskizzen spontan hingeworfen hatte, prüfte er sie gespannt. Wo hatte er diesen Christus schon einmal gesehen? Dann fiel es ihm ein. Es war die Gestalt eines Steinmetzen, die er in seinem ersten Lehrjahr bei Ghirlandajo in Florenz gezeichnet hatte.

→Vatikan (delphische Sybille)

Nach einem 3-jährigen Fasten, dem Formen des kleinen Tonmodells, tauchte der Auferstandene rasch aus der Marmorsäule hervor. Nachdem er Vati dazu überredete, sich für eine nackte Figur zu entscheiden, formte sein singendes Eisen die Umrisse der stehenden Gestalt in schöner Harmonie der Proportionen, den milde zu den Menschen herabgebeugten Kopf, das Gesicht mit der friedeverheissenden Gelassenheit, in dem für alle, die ihre Augen auf Jesus richteten, geschrieben sind:

„Bewahret den Glauben an Gottes Güte. Ich habe mein Kreuz überwunden, wie ihr das eure überwinden könnt. Gewalt vergeht. Die Liebe bleibt ewig.“

Der triumphierende Christus:
Eine eher heidnische Darstellung, die etwas kalt wirkt. Christus hält ein unproportional kleines Kreuz, das er eher wie ein Handwerkzeug bei sich hat.

„Der Auferstandene Christus“ in der Kirche Santa Maria sopra Minerva, Rom, unmittelbar hinter dem Pantheon links, päpstliche Altstadt.

Foto von Stefan Meier, Wettingen/Berlin
Auszüge aus: Irving Stone, Michelangelo, Inferno und Ekstase, ein biographischer Roman, 1961, Schweizer Verlagshaus AG, Zürich
Werner Affentranger